Wer mich kennt, kennt meine Arme. Zumindest glaube ich, dass das zwei Dinge sind, an die man zuerst denkt, wenn man meinen Namen hört. Mein linker Arm hat in den letzten zwei Jahren ein bisschen Tinte abbekommen – zum Leid meiner Großmutter.
An meinem rechten Arm hingegen prangt prinzipiell immer meine Apple Watch, oder – wie es meine Familie manchmal nennt – ein Glompp. Das ist Schwäbisch und bedeutet auf Hochdeutsch genau das, was man sich darunter vorstellt.
1043 Tage lang war das nun der Fall. Eine beachtliche Zahl. Woher ich das so genau weiß? Ganz einfach – die Watch hat für mich gezählt. Und nicht nur das, sie hat 1043 Tage lang sämtliche andere Daten für mich erhoben, deren Existenz mir in meinem Leben vor der Apple Watch weitestgehend egal war. Das sollte sich aber ändern.
Sport, auch wenn du nicht willst
Das Wunderding an meinem Handgelenk kann einiges – wie es das macht, weiß ich nicht, von Technik habe ich herzlich wenig Ahnung. Es kann irgendwie meine Herzfrequenz messen und ein EKG erstellen, meine Geh- und Laufgeschwindigkeit feststellen und zuletzt erhob es sogar Daten über die maximale Sauerstoffmenge, die mein Körper beim Sport aufnehmen kann. Die Bezeichnung Wunderding ist also angemessen.
Als ambitionierte Sportlerin ist eine Apple Watch die denkbar beste Ergänzung zum Training, die man haben kann. Das dachte ich zumindest lange, lange Zeit. Bis mir dann klar wurde, dass ich am Ende nur noch eine Art Sklave meines eigenen Handgelenks war – und mir einredete, wie viel besser mein Leben dadurch ist.
Diesen Text wollte ich eigentlich vor 43 Tagen schreiben. Damals habe ich eine Auszeichnung von meiner Apple Watch erhalten, sogar eine digitale Medaille gab es obendrauf. Denn: Ich hatte 1000 Tage am Stück an jedem einzelnen Tag ein von mir selbst festgelegtes Bewegungsziel erreicht. Vor 43 Tagen war das noch eine Errungenschaft für mich.
Ich wollte in diesem Text eigentlich schreiben, wie sich mein Leben durch die Apple Watch verändert hat. Dass ich mehr Sport mache, mehr unterwegs bin – seit 1000 geschlagenen Tagen. Je mehr ich aber an diesen Zeilen arbeitete und wirklich ausformulierte, was ich mir in den letzten 1000 Tagen tagtäglich aufgebunden hatte, desto mehr musste ich realisieren, wie robotisch ich zuletzt den Anweisungen meiner Apple Watch gehorchte.
Aber der Druck ging nicht weg. Im Gegenteil, stattdessen schaute ich noch öfter in der App meines iPhones vorbei, in der meine tollen Sportdiagramme einsehbar waren.
ZUM THEMA LOSLASSEN
Viele Leser dieses Textes besitzen sicherlich keine eigene Apple Watch, deswegen muss ich kurz erklären, inwiefern ich von ihr profitierte. Das Gerät hat an all den Tagen meinen Ruhepuls gemessen, meine Bewegungsintensität, meinen Schlafrhythmus und je nachdem, welchen Sport ich getrieben habe, hat sie entsprechende Daten erhoben. Beim Joggen die Zeit, Strecke, Geschwindigkeit, Aktivitätskalorien, Herz- und Schrittfrequenz. Beim Gehen war’s noch obendrauf die Schrittgeschwindigkeit, beim Fußball war’s ähnlich und beim Schwimmen hat die Watch meine Bahnen für mich gezählt.
In dieser Hinsicht war meine Apple Watch natürlich super. Sie erstellte Durchschnittswerte, wie oft ich am Tag aufstehe, wie viele Kilometer ich gehe, wie schnell ich im Durchschnitt gehe oder laufe, wie mein Ruhepuls im Schnitt ausfällt und – das war das Schlimmste – sie erhob meine durchschnittliche Bewegungsintensität.
Steh auf, mach Sport – jetzt!
Jetzt fragt man sich: Was ist daran so schlimm? Prinzipiell erst einmal nichts. Es war eine Zeit lang schön, morgens aufzustehen und die Erfolge der letzten Tage in bunten Diagrammen sehen zu können. Das spornte an. Aber die Watch war nicht nur ein Gesundheitsüberwacher, sie war eine Art Personal Coach. Und was für einer.
Eine Zeit lang im Winter trainierte ich an jedem Morgen vor der Arbeit schon um 7 Uhr für mindestens eine Stunde. Die Watch speicherte also, dass ich schon früh Sport treibe. Irgendwann habe ich das aber wieder aufgehört – die Morgen wurden wieder heller, ich brauchte nicht mehr direkt nach dem Aufstehen Sport, um gute Laune zu haben.
Die Watch aber fing an, mich gegen 10 Uhr daran zu erinnern, dass ich doch eigentlich um diese Uhrzeit schon viel mehr Sport getrieben habe. Prinzipiell konnte mir das egal sein, abends stand ja regelmäßig Fußball an und in meinen Mittagspausen gehe ich immer mindestens anderthalb Stunden spazieren. Aber irgendwann entwickelte ich mit jeder dieser Erinnerungen eine innere Unzufriedenheit.
Die Leute, die eine Apple Watch besitzen, sagen jetzt: Lea, du kannst diese Mitteilungen abstellen. Das wusste ich, das habe ich auch eine Zeit lang so gehandhabt. Aber der Druck ging nicht weg. Im Gegenteil, stattdessen schaute ich noch öfter in der App meines iPhones vorbei, in der meine tollen Sportdiagramme einsehbar waren.
Abends, wenn der Arbeitstag lang war und ich eigentlich auch einfach mal nichts machen wollte, sagte mir die Watch: Lea, es ist noch genug Zeit, um deine Ziele zu erreichen – stehe auf und werde aktiv! Das zog ich 1043 Tage lang durch. Keinen einzigen solcher Abende habe ich erlebt, ohne nicht doch noch eine Stunde zu spazieren oder ein langes Workout zu machen. Selbst dann, wenn ich krank war oder wirklich absolut keine Lust oder Energie mehr übrig hatte.
Etwa zwei Monate vor Erreichen meiner 1000-Tage-Marke hatte ich letztendlich einen Durchschnitt von rund 800 Aktivitätskalorien pro Tag. Heißt, jeden Tag Sport – und zwar so lange, bis ich bei mindestens 800 Kalorien angekommen bin. Das entspricht (bezogen auf meine Erfahrungswerte) etwa Joggen über zwölf Kilometer. Die Watch entzog mir zuletzt jeglichen Spaß, den ich davor am Sport hatte. Laufen, meine Lieblingsdisziplin abseits des Fußballs, entwickelte sich zu einer Bürde.
Zurück zur Analoguhr
Wenn man sich an jedem einzelnen Tag dazu gezwungen fühlt, Sport zu machen, nur damit am Ende des Tages die bunten Diagramme gefüllt sind, verliert man einfach irgendwann die Lust daran. Das ist mir passiert, aber diese digitalen Medaillen und diese ganzen Zahlen, die mir meine Apple Watch präsentierte, hatten mich regelrecht zum Sklaven dieses Geräts werden lassen. Das wollte ich ewig nicht wahrhaben.
Ich dachte, ich lebe dadurch gesünder. Vielleicht tue ich das auch, ein bisschen zumindest. Ich jogge aber auch ohne eine Apple Watch meine monatlichen 100 Kilometer, ich gehe auch ohne sie dreimal in der Woche zum Fußball und quäle mich auch ohne sie durch meine Workouts. Das habe ich nun endlich, nach 1043 geschlagenen Tagen, selbst begriffen.
Ganz aufgeben werde ich die Watch nicht – zum Laufen ist sie nach wie vor unschlagbar. In Kombination mit Bluetooth-Kopfhörern war Laufen nie leichter und angenehmer. Aber ich werde mich nicht mehr tagtäglich rund um die Uhr von der Watch herumkommandieren lassen. Das sollte sich auch eigentlich niemand.
Wer mit Sport anfangen will und jemanden braucht, der ihm dabei in den Allerwertesten tritt, macht mit einer Apple Watch definitiv nichts falsch. Aber man sollte dabei zwischen Spaß und Zwang unterscheiden können.
Derweil ziert wieder eine analoge Uhr mein rechtes Handgelenk. Das Schreiben dieses Textes dauerte drei Tage, sprich, ich lebe seit drei Tagen ohne Apple Watch. Spazierengehen, Laufen und normales Leben war lange nicht mehr so genussvoll und entschleunigt wie jetzt – ganz ohne digitale Peitschenhiebe.
Ich habe es vermisst.
Sina
April 24, 2020 at 8:00 pm
sehr cool… geschrieben und natürlich:
was dahinter steckt ??
Alexander
April 25, 2020 at 8:53 am
Interessanter Artikel und Sichtweise. Ich liebe meine Apple Watch und trage eine seit der ersten Generation.
Diesen Druck den du beschrieben hast, kenne ich nicht und auch diesen Drang die Diagramme anzugucken. Ich mache auch viel Sport und bewege mich viel. Aber wenn es Tage gibt die mir nicht bekommen und die Uhr meckert mit mir, dann ignoriere ich es einfach.
Ein Stück Technik wird mich hoffentlich nie komplett beherrschen.
Am Ende des Tages ist es das was wir draus machen und die Funktion des erinnerns das du Sport machen musst, kannst du auch ausschalten.
Die Uhr wurde ja erfunden zum erleichtern und motivieren ??
Benedikt
April 25, 2020 at 10:56 am
Wirklich toller Text 🙂 Überlege mir eine Watch anzuschaffen und finde diese Einblicke in deine Erfahrung mit der Watch sehr hilfreich. Danke!
Mary Lee Wagner
Mai 20, 2020 at 7:27 pm
Find den Artikel echt gut geschrieben und unglaublich zutreffend. Ich kenne es auch, dass man sich viel zu schnell zum Sklaven seiner App macht – sei es jetzt irgendwelche Abnehmapps, Wordcounts beim Schreiben etc. Man wird viel zu schnell abhängig davon, ständig nur auf Zahlen zu achten und viel zu selten die Sachen auch zu genießen.
Julius
Januar 17, 2021 at 2:34 am
Toller Text, kenne das Phänomen eher so von mobile games wo man jeden Tag online sein muss um weiter zu kommen. Da spiel ich doch lieber Minecraft…